Erwachsensein. Kindsein.

 

Es war ein Bisschen ruhig hier in den letzten Wochen. Geschrieben habe ich wie wild. Wenn es ging jeden Tag. Im Rahmen der Schreibwerkstatt. Und ich habe mich weiter entwickelt. Die Texte sind zum großen Teil anders, als das was ich sonst hier teile, aber ich dachte vielleicht habt ihr ein Bisschen Spaß am Lesen ... von "etwas anderem".  Tiefsinn. Wortspielerei. Freie Feder, die einfach dorthin springt wo es ihr gefällt. Nicht lenken lassen. Selbst lenken. 

 

Erwachsensein. 

Eine Art, die alles zu verlieren droht. Phantasie liegt brach und bunte Kleidung längst ausgestorben. Weinen verboten. Lautes Lachen unangenehm. Immer die Hand vor dem Mund anstatt mit Mut und Stolz die Zahnlücke zeigen. 


Kindsein.

Kleine Elfen, bunte Elefantenhälse und klebrige Ringellutscher. Und doch. Rote Schlabberhose, pinkes Weihnachtskleid im Sommer und grüne Glitzermütze dazu. Und doch. Doch fühlt man etwas Großes, Lenkendes, dem man sich entgegensträuben möchte. Das unverständlich im Alltag die rosa Kreide auswäscht. Was wollen die? Das einzige was zählt, ist der warme Duft von Mamas Pullover und eine Hand auf mir. Nur eine. Nicht zwei um mich herum. 


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und jetzt mal noch etwas ganz anderes ....__

Verloren sieht er aus dem Fenster des Busses. Es ist kalt draußen und die Eisblumen zeichnen interessante Muster an die Scheiben. Ein kleiner Junge, vielleicht fünf Jahre alt, versucht eine Eisblume abzulecken. Die Mutter ermahnt ihn. Wie gerne wäre er nochmal fünf Jahre alt und hätte die strenge Stimme der Mutter gehört, doch jetzt ist er auf dem Weg in die Unterwelt. Dort wartet die vielleicht größte Aufgabe seines Lebens auf ihn. Wie makaber, dass er jetzt in diesem Augenblick in einem Bus der Linie 100 steht, zusammen mit Pendlern und Kindern, mit jungen, alten, fröhlichen, nachdenklichen und mit traurigen Menschen. Alle verbindet sie eine Eigenschaft, die er nicht besitzt: Sie sind sterblich. Was würde er dafür geben auch sterblich zu sein.

“Mama, der Mann hat aber einen langen Hals” hört er den kleinen Jungen rufen. Er merkt, wie das Blut in ihm anfängt langsam Grad um Grad zu steigen und weiß, was dies bedeutet. “Hab dich im Griff Engwich” versucht er sich zu beruhigen. “Du musst ruhig bleiben. Du weißt was sonst passiert”. Es sind noch acht Stationen bis zu der Haltestelle an der er aussteigen muss. “Das schaffst du!” kommt es aus seinem Mund. Nun nicht mehr leise sondern etwas energischer. Die Leute um ihn herum schauen ihn misstrauisch an, sprechen miteinander, bis der Blick wieder aus dem Fenster wandert, in die nächste Woche oder ihrem Gesprächspartner zugewandt. Um sich selbst zu beruhigen zählt er, als er einen freien Platz erspäht. “Natürlich wollen alle zu diesem einen Platz. Wieso muss auch dieser verflixte Bus so übervoll sein”. Als eine ältere Dame sich an ihm vorbeidrängen will, brennt es an seinem Arm. Es ist das gleiche Brennen wie heute Morgen, als Hektor, sein Nachbar, ihn wieder mal angerempelt hat. Scharf saugt er die Luft ein, versucht leise zu bleiben und die Frau vorbei zu lassen. Der Platz ist ihm mittlerweile egal, er möchte einfach nur endlich am Cour de Rome sein, denn dort ist der Eingang. Wilmes wartet dort auf ihn um die nächsten Anweisungen zu übermitteln. Er weiß genau, dass ihm die nächsten Schritte nicht gefallen werden und dass sie erneut all seine Kraft und seinen Mut fordern werden. Ein kalter Windstoß lässt ihn kurz zittern und er zieht die Kordel an seinem Hut etwas enger. “Hätte ich mir doch noch einen Knopf an meinen Mantel genäht, dann müsste ich nicht immer befürchten, dass jemand meine Narbe sieht”.

“Nächste Haltestelle Cour de Rome” erklingt die mechanische Ansage im Bus. "Bloß raus aus diesem Höllenfeuer in die Kühle, ehe sich noch jemand anderes verbrennt außer mir”, denkt Engwich, nimmt beim Aussteigen gleich zwei Stufen auf einmal und reißt der älteren Dame fast die Tasche aus der Hand. Die schaut ihn wieder misstrauisch an und klopft auf seine Schulter. “Sie müssen mal öfter tief durchatmen junger Mann. Was auch immer sie so stresst ist doch sicher halb so schlimm” sagt sie mit einer leicht krächzigen Stimme. “Wenn sie doch Recht hätte”, denkt er und geht schnellen Schrittes auf die Gare Saint-Lazare zu.
 


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