Quarantäne als Vorwand zur Entschleunigung?

 



Berta ist weg! Das liebste Kuscheltier meiner kleinen Tochter, und sie hat in ihrem Leben noch keine Nacht ohne sie verbracht. Draußen habe ich noch der Großen gesagt sie soll Berta mit rein nehmen und weiter geben. Ich kann nicht sagen ob sie angekommen ist. Im Treppenhaus ist sie nicht. Und da liege ich weinend im Gitterbett, meine Tochter ist so müde, dass es ihr egal ist ob Berta da ist oder nicht. Mir ist heute nichts egal. Ich habe wieder so einen Tag an dem ich alles persönlich nehme, an dem mir alles zu nah geht und alles zu viel ist. 

Ich kann garnicht sagen wann das passiert ist. Heute Morgen war alles super. Wir sind das Wochenende zu dritt, Männerwochenende, wandern, und wir machen ein Mädelswochenende. Das begann heute morgen mit einem kurzen Anflug von Magen-Darm und in meinem Kopf spann sich ein Horror-Spinnennetz der Umorganisation weil ich jetzt wieder arbeiten gehe. Das geht mit Magen-Darm nicht. Dabei war nicht mal ich krank. Ich denke mir dann sofort das schlimmste aus, anstatt gelassen alles auf mich zukommen zu lassen. Ich denke entweder konnte ich das noch nie oder ich habe in den letzten zwei Jahren so eine Agression auf das nicht-planen-können entwickelt, dass es mich nur noch triggert. Ich glaube es ist eine Mischung aus beidem. Es klingt komisch, aber manchmal sehne ich mich nach dem letzten November zurück. Wir waren alle vier in Quarantäne. Drei Wochen lang und mehr. Nach anfänglicher Ausraster, haben wir es uns hier richtig gemütlich gemacht und soviel intensive Zeit zusammen gehabt wie noch nie. Das ist traurig. Nicht traurig, weil es uns immer besser ging im Laufe der Wochen, und wir uns wirklich erholt haben. Es ist traurig, weil man erst Corona bekommen musste, um sich auf das Wesentliche zu besinnen, und ich weiß nicht wie oft über diese Erkenntnis schon Einträge oder gar ganze Bücher geschrieben wurden. Doch kaum ist alles wieder "normal", ist man wieder im Hamsterrad des Alltags und ich merke diese fiesen alten Muster, die ich schon fast wirklich richtig hinter mir gelassen habe. 

Es war irgend etwas heute, ein kleine Funke, der mich so umgestimmt hat, dass ich die monströsen Flutwellen spüre und das Wasser sich einfach nicht beruhigen möchte. Ich kann kein zweites Kind mehr ins Bett bringen heute, und doch ist niemand da der es sonst tut. Ich muss. Ich muss immer soviel. Und ich frage mich wann ich aufgehört habe zu wollen? Wann bin ich so erschöpft geworden? Es gibt so viele Momente da macht es mir Spaß. Da genieße ich es. Und dieses Genießen musste ich auch erst wieder lernen. Aber es gibt auch immer wieder diese Momente in denen ich weinend mit im Gitterbett liege abends. Und es macht mich wütend, dass die viel mehr wiegen! Ich möchte ja hingehen und sagen "Es tut mir leid, dass ich heute schon wieder gemeckert habe, dass ich laut geworden bin, dass ich so war wie ich nie sein möchte!" und doch möchte ich auch einfach hier sitzen bleiben und einfach nur sein. Berta finden. Und sie mitnehmen. Heute Nacht vielleicht mal in mein Bett. Vielleicht kann ich nicht einschlafen ohne Berta. Vielleicht kann ICH nicht einschlafen ohne Berta. 


Nachtrag: Ich konnte es nicht lassen und nach nicht mal vier Minuten schaute Bertas Fuß hinter der Truhe im Flur hervor und der Mut war wieder da. Der Mut, dass Alltag doch auch gut sein kann für uns alle. Dass vielleicht wenigstens für die Kinder die positiven Momente noch mehr wiegen. Ich bemühe mich. Mehr positive Momente. Wie noch anderthalb Kapitel Pippi Langstrumpf, in Mamas Bett "weil das so schön nach Mama riecht". Wie selbstbestimmt am Wochenende zu entscheiden wann man das Licht alleine ausmacht. Stimmungsschwankungen sind anstrengend aber auch in Ordnung und vielleicht nötig, für uns alle.

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